Dienstag, 26. November 2013

Grandia 2 - What it means to be human

"Grandia 2" dürfte das Spiel sein, für das ich neben "Final Fantasy 7" am längsten gebraucht habe, aber sowas ist bei mir ja immer eher ein positives Zeichen. So sollte es wenig verwunderlich sein, dass mir dieses RPG von GameArts ausgesprochen gut gefallen hat - Mit Grandia 2 erlebt man ein riesiges Abenteuer, denn es passiert immer und überall richtig viel und im Laufe des Spiels verändern sich Charaktere, Orte und Gegebenheiten signifikant. Wenn man keine Probleme mit der mit dem Holzhammer präsentierten "Wir können alles schaffen, wenn wir zusammenhalten!"-Moral hat und damit klarkommt, dass man so gut wie gar keine Entscheidungsfreiheit genießen darf, wird einem Grandia 2 gut gefallen. Aber beginnen wir von vorne.

Man steuert Ryudo, einen sogenannten Geohound, der für Geld so ziemlich alles tut und als Freund nur einen alten Vogel namens Skye hat. Ja, wir haben hier mal wieder den Söldner, der sich für andere Menschen oder die Vorgänge in der Welt erst einmal gar nicht interessiert. Und ja, es gibt dann natürlich auch das Mädchen, das dies ändert, auch wenn aus diesem Klischee nach einiger Zeit glücklicherweise ausgebrochen wird. Elena, so der Name der Dame, soll von Ryudo eskortiert werden - sie gehört so einer Art Religion an, die uns gleich zu Anfang sagt: Granas (der Gott, zu dem Elena betet) ist der coole, gute Dude auf der Seite des Lichts. Vor vielen Jahren kämpfte dieser gegen den Gott der Finsternis, Valmar, woraufhin beide verschwunden waren und nur tiefe Narben auf der Oberfläche der Welt hinterlassen hatten: Die Granacliffs. Klingt wieder nach einem recht lauwarm aufgewärmten Klischee, aber auch hier lernen wir und vor allem Elena im Laufe des Spieles noch, dass nicht alles auf der Welt in Gut und Böse oder Licht und Dunkelheit eingeteilt werden kann.

Jedenfalls dreht sich die Geschichte darum, dass die Einzelteile von Valmar noch irgendwo verstreut rumliegen, und Elena diese quasi in sich aufsaugen muss, um den bösen Gott angeblich unschädlich zu machen. Der scheint nämlich langsam aber sicher wieder zu erwachen und wir bekommen das auch hautnah mit - in den Stätdchen, in die wir reisen und die sich alle individuell unterscheiden, gibt es immer Leute, die bereits unter dem wachsenden Einfluss von Valmar leiden. Auf unserer Reise schließen sich auch nach und nach andere Charaktere an, zum Beispiel Roan, der eigentlich ein Prinz eines Königreiches ist, das seit Ewigkeiten nur aus Anhängern von Valmar besteht. Oder Mareg, ein Biestmensch, der den Handlanger des dunklen Gottes aus dem Weg schaffen muss, weil dieser sein Dorf verdammt hat. Dieser ist übrigens - Überraschung! - Ryudos Bruder, der im Laufe der Geschichte natürlich besiegt werden muss, aber dazu komme ich später nochmal. Durch das Absorbieren (?) der Valmar-Teile erwacht in Elena jedenfalls ein zweites Ich - die "Wings of Valmar", eine Frau mit dem Namen Millenia. Sie und Elena können niemals gleichzeitig in der Party sein, weil sie sich quasi einen Körper teilen (auch wenn die beiden Alter Egos unterschiedlich aussehen) und auch sonst bringt diese Sache so einige Probleme mit sich. Millenia ist ja eigentlich ein Teil von Valmar und somit als böse zu identifizieren, mit der Zeit verändern sich ihre Ansichten allerdings vollkommen, weil sie sich in Ryudo verliebt. Und auch der letzte Charakter, der die Party dann vollständig macht, ist eigentlich ein Überläufer: Tio, ein Roboter ("Automata") aus einer Serie von vielen, die eigentlich auch nur erschaffen wurden, um Valmar zu dienen. Sie findet in Mareg ihren Meister und schafft es mit der Zeit, ihr menschliches Herz zu entdecken und Gefühle zu spüren, obwohl sie Anfangs nur eine Maschine ist.
Tio war wahrscheinlich mein absoluter Lieblingscharakter. Sie war Anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber es war so niedlich, wie sie Gefühlsregungen nie nachvollziehen konnte und Mareg ihr alles umständlich erklären musste. Außerdem war sie im Kampf auch extrem nützlich, weil sie recht gute, magische Werte hatte und mit "Lotus Flower" eine der besten Special Attacks im Spiel benutzen konnte. Nach ihr mochte ich dann wohl Mareg am liebsten, der wahrscheinlich der Weiseste und Gutherzigste von allen war - er und sein Volk glaubten auch nie an einen der Götter, was Elenas Welt stark ins Wanken geraten ließ. Dann kommt Ryudo, gefolgt von Millenia, schließlich Roan und irgendwann am Ende mal Elena. Elena war zeitweise schon eher anstrengend. :0
Wie auch immer, die Charaktere sind alle ziemlich liebenswert und wachsen einem schnell ans Herz, aber man hat leider nie die Wahl, welchen von ihnen man in der Party hat. Grandia 2 generiert die Kampftruppe, zum Beispiel wird Roan plötzlich König seines Reiches und durch Tio ersetzt, später ersetzt er für eine Zeit wieder Mareg, bis sein Platz an Millenia mit eigenem Körper abgegeben wird. In Wahrheit besteht die Party also immer nur aus höchstens vier Leuten und das fand ich extrem schade.

Okay, während wir also die Teile von Valmar einsammeln sollen, um Elena später zu opfern und den bösen Gott ein für alle mal zu vernichten, ist die Gegenseite natürlich auch nicht untätig. Melfice, Ryudos Bruder, hat eine ähnliche Mission und scheint uns dauernd auf den Fersen. Sein Ableben wird zu einem rechten Wendepunkt in der Geschichte - wir finden nämlich heraus, dass er von den "Horns of Valmar" besessen ist, die wir ihm natürlich austreiben, aber nicht Elena in sich aufnimmt, sondern Ryudo. Hier findet die endgültige Entscheidung von Millenia zwischen den Fronten statt, denn sie versiegelt die Hörner in ihrem Liebsten und hat sich daher für ihn entschieden. Im Laufenden ist nicht nur Thema, ob Ryudo wie sein Bruder irgendwann von der bösen Macht übermannt wird, sondern auch, dass er sich zu beiden Mädchen hingezogen fühlt. :0 Das fand ich eigentlich sehr cool, wenn auch eher unrealistisch: Ryudo entscheidet sich nie für eine von beiden, er sagt auch deutlich, dass er sie beide liebt. Rumgeknutsche gibts dabei übrigens auch noch. ;0 Ich war schon sehr überrascht, dass dieses Thema in einem JRPG so deutlich ausgesprochen wurde, wo sonst doch eher immer nur voll lahm angedeutet wird, wenn zwei Charaktere sich gern haben.

Am Ende entwickelt sich die Geschichte jedenfalls so, dass selbst das Oberhaupt der Granas-Kirche (also sowas wie der Papst) eigentlich ein Anhänger Valmars ist, der Elena die Teile des Gottes nur sammeln ließ, um ihn wiedererwecken zu können. Schockierend dabei ist nicht nur, dass er es auch schafft, sondern dass enthüllt wird, dass Granas in der Schlacht vor vielen Jahren einfach gestorben ist und Valmar gar nicht versiegelt werden konnte. In den folgenden Ereignissen stirbt nicht nur Mareg (! D: !), die Welt wird auch von einem vielköpfigen, bösen Gott heimgesucht, extrem viele Leute werden getötet (was man sogar live mitansehen kann, auch eher ungewöhnlich), Ryudo verwandelt sich auch noch kurzzeitig in ein kleines Valmar-Monster. :A Es geht also wirklich total ab, und das ist meiner Meinung nach die größte Stärk von Grandia 2. Es gibt kaum Leerläufe in der Geschichte, irgendwas passiert immer, auch wenn man eben selbst keinen Einfluss nehmen kann. Es gibt nicht einmal so richtige Sidequests - selbst vor dem großen Endkampf kommt kein Part, in dem man mit dem Luftschiff die Welt nochmal bereisen oder alte Orte besuchen kann. Es gibt gerade mal ein optionales Gebiet, das unglaublich beschissen ist, wenn ich das so sagen darf. Da gibt es Monster, die die gesamte Party mit einem Zauber auslöschen können und sowas kann später nicht einmal der Endgegner.

Also ja, der Endgegner. Ich hatte absolut keine Probleme im letzten Dungeon. Zwar dauerte es eine Weile, bis ich es zu den letzten Gefechten geschafft hatte (weil das Gebiet so verwirrend groß war :x), aber die waren dann wirklich ein Spaziergang. Es müssen noch einmal alle Teile von Valmar besiegt werden - diesmal also richtig und nicht bloß zum Absorbieren - und am Ende kämpft man noch gegen einen wunderhübschen Schmetterling, der Valmars und Zeras letztes Überbleibsel ist.
Das Ending selbst muss ich aber doch deutlich kritisieren - ich mag es einfach nicht, wenn man da noch rumlaufen kann. Ich will mich zurücklehnen und sehen, was passiert und nicht ewig mit NPCs quatschen und durch Städte laufen, die ich schon wieder halb vergessen habe. Man steuert da nämlich Roan, der sich aus dem Schloss davonmacht, um seine Freunde zu suchen. Ein Jahr nach Valmars Zerstörung hat sich die Welt langsam wieder erholt, durch die Granacliffs fließt ein Fluß und die Menschen haben sich neue Aufgaben gesucht. So arbeitet Tio als Krankenschwester, während Millenia sich als Lehrerin versucht und Elena singend durch die Gegend reist. Natürlich drücken einem alle Charaktere nochmal rein, wie stark ihre Bindung zueinander ist und bla~ Ryudo ist indessen nirgends aufzufinden, aber der Spieler erfährt wenigstens noch, dass er wohl das ganze Jahr damit verbracht hat, den "Granasaber" (ein riesiges Luftschiff) zu vergraben.^^

Also ja, mit dem Ende war ich nicht so zufrieden, aber das Spiel an sich fand ich dann doch ziemlich cool. Die Hauptkritikpunkte habe ich ja schon angesprochen - die fehlenden Freiheiten und die extrem Linearität können einem bestimmt etwas den Spaß nehmen. Genauso wie die übertriebenen, moralgetränkten Momente, die eigentlich nur bei Tio und Mareg gut funktioniert haben - ihre Suche nach ihrem menschlichen Herz war doch sehr interessant und überzeugend, vor allem nachdem Mareg dann gestorben war. Das war übrigens eine absolut tolle Sache. Also, ich mochte ihn als Charakter unglaublich gerne, aber dass sich jemand traut, ein vollwertiges Partymitglied zur denkbar schlechtesten Zeit (nämlich nachdem man es schon lange mit auf Reisen und ins Herz geschlossen hat und doch früh genug, dass man den Verlust noch schmerzlich merkt) sterben zu lassen, beeindruckt mich ziemlich.
Was sonst noch etwas anstrengend war, war das Kampfsystem. Okay, prinzipiell hat es oft viel Spaß gemacht und bei der Charakterentwicklung kann man sich dann doch ziemlich austoben. Welche Zauber oder "Power-Ups" man wem ausrüstet ist vollkommen frei wählbar und es gibt wirklich viele unterschiedliche Möglichkeiten. Taktisch darf man auch tätig werden, denn es macht riesige Unterschiede ob man einen Gegner "canceln" (also seinen Angriff zurücksetzen) kann oder nicht. Aber, und das hat mir vor allem gegen Ende missfallen, dadurch dauern die Gefechte so unglaublich lange. Nach einigen Kämpfen werden Zwischengegner nur noch nervig, weil es oft seine Zeit braucht, die zu besiegen. Sie sind ja nicht schwer zu schlagen, aber eben unnötig zeitaufwendig.

Jedenfalls bot Grandia 2 insgesamt doch einige Innovationen, vor allem wenn man es mit den damalig erschienenen "Final Fantasy"-Spielen vergleicht. Es fühlt sich auf jeden Fall anders an und braucht sich vor dem großen Genre-Kollegen auch nicht verstecken. Gerade in der Charakter-, aber auch der Plotentwicklung macht das Spiel sehr viel richtig und kann dann hin und wieder sehr positiv überraschen.
Für mich ist es auf jeden Fall eines der besseren Spiele, die ich dieses Jahr so durchgebracht habe.

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